EuGH: RTL vs Pestana Hotels – Nutzung von TV-Signalen in Hotelzimmern illegal?

EuGH-Sporn-07022022Spjpg-840x430.jpg (Bild: TH-Köln)

„Free-To-Air“ wird von vielen Nutzern von TV-Sat-Signalen in Europa gleichgesetzt mit „free-to-have“. Was unverschlüsselt vom Himmel kommt, wird als kostenlos und rechtefrei angesehen – selbst für eine kommerzielle Nutzung.

10.01.2022

Prof. Dr. Stefan Sporn, Honorar-Professor der TH Köln und Sprecher des Beirats der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht*

Das gilt besonders für die Nutzung von TV-Signalen in den Gästezimmern von Hotels in der Europäischen Union. Mag diese Haltung gegenüber den Leistungen von Urhebern und Leistungsschutzberechtigten moralisch fragwürdig sein; ob sie gegen Recht verstößt, ist für die meisten europäischen Länder eine offene juristische Frage. Es besteht Hoffnung, dass diese Frage dieses Jahr durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem Grundsatzurteil endlich geklärt wird. Der Gerichtshof muss folgende Frage beantworten: Ist es eine „Kabelweitersendung“, wenn ein Hotel TV-Signale via Sat-Antenne empfängt und diese dann durch ein Kabelnetz innerhalb des Hotels durch ein kabelnetz in die Hotelzimmer weiterleitet? Falls „ja“, dann müssen die Hotels dieses Recht von den Sendern lizenzieren oder die Sender abschalten.

Der Hintergrund: Nahezu alle Hotels in der Europäischen Union verweigern „Free-To-Air“-Sendern Lizenzentgelte für die Nutzung in Hotelzimmern. Der deutsche TV-Sender RTL hat zur Klärung der Rechtsfragen vor rund acht Jahren die portugiesische Hotelkette Pestana verklagt. In verschiedenen Hotels hatte diese die Sendesignale ohne Zustimmung von RTL in Hotelzimmern angeboten. Pestana weigerte sich aber, einen Lizenzvertrag abzuschließen und Lizenzentgelte zu zahlen. Nachdem die beiden Erstinstanzen die Klage des Senders abgewiesen hatten, entschied der portugiesische Oberste Gerichtshof unter anderem, die obige Frage dem EuGH vorzulegen.

Die Anspruchsgrundlagen: Die Klägerin hat die Klage nur auf eigene Rechte und nicht auf übertragene oder abgeleitete (Urheber-) Rechte gestützt: Auf das „Recht der Öffentlichen Wiedergabe“ und das Leistungsschutzrecht der „Kabelweitersendung“. Mit seiner Entscheidung „Hettegger Hotel Edelweiss“ aus dem Jahr 2017 (die u.a. auch von RTL gestützt wurde) hatte der EuGH zwischenzeitlich die „Öffentliche Wiedergabe“ für den zugrundliegenden Sachverhalt abgelehnt. Das erforderliche Tatbestandsmerkmal „gegen Eintrittsgeld“ läge bei der Nutzung von TV durch Hotelgäste in den Zimmern nicht vor; das verlange aber die einschlägige Richtlinie („InfoSoc“), die es auszulegen galt. Damit verblieb für RTL nur noch die „Kabelweitersendung“ als Anspruchsgrundlage, wie sie als solche auch bei „klassischen“ Kabel- und IP-Netzbetreibern bei nahezu gleichem Sachverhalt unbestritten gilt. Für das Verständnis des Rechts der Kabelweitersendung ist die Kabel- und Satellitenrichtlinie (CabSat-RiLi) einschlägig, über deren Auslegung verbindlich nur der EuGH entscheiden darf. Ist also ein Hotel mit einem Kabelnetzbetreiber gleichzusetzen und gelten somit die Regelungen der CabSat-RiLi auch für Hotels?

Die Bedeutung des Verfahrens: Die Bedeutung des Verfahrens kann kommerziell und juristisch kaum überschätzt werden. Auf der einen Seite betrifft der zugrundliegende Sachverhalt dutzende europäische öffentlich-rechtliche und private Sender, die über die Nutzung ihrer Signale in Hotels selbst entscheiden und daran ggf. auch verdienen wollen. Auf der anderen Seite stehen die Hotels, die sich die Lizenzentgelte dieser Sender ersparen wollen.

Die Entscheidung des EuGH wird entweder nur Gewinner oder nur Verlierer haben.

Sollte RTL gewinnen, dann liefe die Lizenzierung von TV-Sendern und ihren Inhalten nach dem bekannten, eingespielten und geordneten existierenden System wie bei den „klassischen“ Kabelnetzbetreibern: Das Leistungsschutzrecht der Kabelweitersendung würde dann von den Sendern eingeräumt, die Urheberrechte der einzelnen Rechteinhaber (Produzenten, Autoren etc.) würden – wie von der CabSat gefordert und in jeder nationale EU-Rechtsordnung vorgesehen – kollektiv von den Verwertungsgesellschaften an die Hotels lizenziert. Von dem Ergebnis profitierten Sender, Urheberrechtsinhaber und auch die Hotels, weil sie einfach, rechtssicher vollumfänglich alle notwendigen Rechte aus der Hand weniger Player (Sender + Verwertungsgesellschaften) bekämen.

Sollte jedoch Pestana gewinnen, dann sähe es vordergründig als juristischer und kommerzieller Sieg der Hotels aus. Es wäre ein Pyrrhus-Sieg. Denn dann gilt das beschriebene eingespielte System der Lizenzierung der notwendigen Rechte für die Hotelnutzung nicht; die Regeln der CabSat wären nicht auf die Hotelnutzung anwendbar – zum Nachteil aller Beteiligten: Der Verwertungsgesellschaften, der Urheberrechtsinhaber, der Sender und der Hotels.

Im Einzelnen: Es gäbe keinen Verwertungsgesellschaftenzwang mehr für die Urheber. Die Verwertungsgesellschaften könnten nicht mehr wie bisher vollumfänglich Urheberrechte einräumen und wären damit geschwächt. Die Hotels könnten nicht mehr gesichert die vollständigen Urheberrechte an einzelnen Programmen der TV-Sender über Verwertungsgesellschaften (wie bisher) lizenzieren. Das Ergebnis wäre ein Höchstmaß an Rechtsunsicherheit bei der Nutzung von TV-Signalen auf Seiten der Hotels. Es könnte jederzeit eine (Unterlassungs-) Klage eines oder mehrerer Urheberrechtsinhaber drohen, die ihre Rechte dann zulässigerweise individuell verträten. Für wenige starke und pfiffige Urheber brächte das eine nie gekannte Macht auf das Lizenzierungssystem mit sich, die sie sicherlich zu Lasten der Hotels und zu eigenem Vorteil gerne nutzten. Für die Mehrzahl der Urheberrechtsinhaber allerdings wäre das keine Option, wodurch sie benachteiligt wären. Schließlich hätten die TV-Sender gegenüber Hotels keine eigenen Rechte und könnten somit weder über die Nutzung noch über Lizenzentgelte für ihre Signale entscheiden. Es erscheint unwahrscheinlich, dass damit die TV-Sender von den Hotels lassen. Es ist vielmehr zu erwarten, dass viele Sender dann statt mit einem Leistungsschutzrecht wie der Kabelweitersendung mit ihren eigenen, übertragenen oder abgeleiteten Urheberrechten Ansprüche (wieder) direkt an die Hotels stellen würden. Kommerziell dürfte es daher für die Hotels in Europa bei einem Gewinn des Prozesses eher schlechter als besser laufen. In jedem Fall wäre aber das gesamte Lizenzierungssystem für alle erheblich komplizierter. Und davon hat niemand etwas.

Der weitere Verlauf: Der Generalanwalt hat sein Votum für den 10. März 2022 angekündigt. Mit der Entscheidung des Gerichtshofes ist Mitte des Jahres zu rechnen. Wir werden in diesem Blog über beides berichten.

*Der Autor vertritt den Sender RTL bei dem geschilderten Prozess als Partei in seiner Funktion als Geschäftsführer der RTL International GmbH.

Januar 2022


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