Ein Trip auf die dunkle Seite der Medien

Demmer_Kueppersbusch_Anderswelt_dummy-002-840x430.jpg (Bild: TH-Köln)

Eine Rezension des Buches „Anderswelt“ von Hans Demmel

15.09.2021

Prof. Dr. Stefan Sporn, Honorar-Professor der TH Köln und Vorsitzender des Beirats der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht

Es ist ein Trip, auf den sich der Journalist Hans Demmel begeben hat: Ein halbes Jahr „Information“ über das Weltgeschehen nur aus „alternativen Medien“ bei komplettem Verzicht auf die gewohnten Quellen wie FAZ, ntv, Spiegel, Deutschlandfunk usw. Der Ex-Geschäftsführer von ntv und Mitglied des Beirates der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht wollte genauer hinschauen: Was erfährt man, wenn man diese Medien liest und schaut? Und was macht es mit einem, wenn man sich ausschließlich aus diesen „Quellen“ informiert? Das Ergebnis liegt jetzt als Buch vor: „Anderswelt – Ein Selbstversuch mit rechten Medien“.

Demmel beschreibt auf den gut 220 Seiten, was er Tag für Tag gelesen und geschaut hat. Er berichtet von den Menschen, die in dieser Welt publizieren. Er nimmt den Leser mit auf seine Reise in diese andere Welt, auf eine dunkle Seite der Medien. Und diese Reise entfaltet Sogwirkung. Anfangs ist man noch ein wenig belustigt über Demmels Berichte und Erfahrungen. Man weiß doch, dass es einen Haufen unbelehrbarer Spinner gibt – denkt man. Doch die Aufzählung von entsprechenden Medien und ihren Machern reißt nicht ab. Die schiere Menge an Beispielen von „alternativer Berichterstattung“ zu Weltereignissen (u. a. US-Wahlen und Corona-Demonstrationen), die Art und Weise ihrer Darstellung und die Zitate von den Autoren lassen einen zunehmend erschüttern.

Demmel lässt einen schließlich teilhaben an seiner Gefühlswelt während des Versuchs, an seiner Betroffenheit über das Ausmaß an Hetze und den Hass. Und er zeigt seine Irritation darüber, dass hier Menschen und Medien aggressiv gegen Andersdenkende, gegen die „Lügenpresse“ agieren mit dem Ziel, ihnen die Rechte nach Art. 5 Grundgesetz abzuerkennen, die sie für sich in Anspruch selbst nehmen können und dürfen. Und er beschreibt, wie selbst er als doch eigentlich unerschütterliches Urgestein des Journalismus ins Wanken geraten ist: Ob das wirklich alles falsch sein kann, was er dort liest? Oder ob nicht doch wenigstens teilweise etwas Wahres dran ist? Als Leser geht es einem genauso. Das ist der Moment, bei dem das Lesen fast schmerzt und man doch das Buch nicht mehr aus der Hand legt.

Demmel hat sich bei seinem Trip vom Journalisten Friedrich Küppersbusch begleiten lassen und hatte dadurch einen Anker in die reale Welt; in Gesprächen fängt Küppersbusch Demmel wieder ein und liefert als „Faktenchecker“ die unverzichtbaren neutralen und einordnenden Informationen für Demmel und seine Leser, um nicht wirklich in die „Anderswelt“ abzugleiten. Als zunehmend irritierter Leser hätte man sich allerdings an vielen Stellen noch mehr davon gewünscht.

Wie kann man aus der „Anderswelt“ wieder entkommen, wenn man keinen Küppersbusch hat? Demmel stellt fest, dass ein Entrinnen aus der selbstgeschaffenen Blase kaum zu schaffen ist, weil einen die Algorithmen der Plattformen wie YouTube durch ihre Vorschlagslogiken nicht nur nicht hinauslassen, sondern eher immer tiefer in diese Blase, in die „Anderswelt“ führen. Ein beängstigendes Versagen von Medienregulierung.

„Anderswelt“ ist ein lesenswerter subjektiver Erfahrungsbericht, keine wissenschaftliche Analyse. Hans Demmel ist aus der „Anderswelt“ wieder (unbeschadet?) zurückgekehrt. Es muss Ziel unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft sein, dass möglichst viele ihm folgen können. Wir müssen daher diese „Gegenöffentlichkeit“ sehen, auch wenn es wehtut. „Anderswelt“ gibt hierzu einen wichtigen, fast überfälligen Impuls!

„Anderswelt“ von Hans Demmel ist vor wenigen Tagen im Kunstmann-Verlag erschienen. Den Link finden Sie hier.

September 2021


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