Ein Jahr Urheberrechtsreform – und das Internet funktioniert noch

Am 7. Juni 2021 ist nach langen Diskussionen und vielen Protesten die Urheberrechtsreform zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in Kraft getreten. Kritiker fürchteten zunächst den Untergang des Internets, dann jedenfalls flächendeckende Uploadfilter und letztendlich zumindest negative Folgen für die Meinungsfreiheit.

07.06.2022

Professor Dr. Christian-Henner Hentsch M.A., LL.M.; Professor für Urheber- und Medienrecht an der TH Köln

Die umstrittensten Regelungen war die Umsetzung von Art. 17 und die darin verklausuliert enthaltenen Uploadfilter. Diese gab es schon vorher und nach dem Inkrafttreten der deutschen Regelungen im UrhDaG zum 1. August 2021 (also etwas später als der Rest der Reform) sind es jedenfalls nicht mehr geworden. Auch der EuGH hat diese Regelung im April 2022 grundsätzlich bestätigt (https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=258261&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1). Die privaten Nutzerinnen und Nutzer können jedenfalls als die wahren Gewinner der Reform gesehen werden, weil sie inzwischen von der Haftung für Posts und Uploads in sozialen Medien freigestellt worden sind. Die Lizenzen für diese Freistellung („Erstreckung“) werden derzeit im Hintergrund zwischen Plattformen und Verwertungsgesellschaften und anderen Rechtsinhabern zumindest teilweise neu verhandelt. Der größte Streitpunkt könnte am Ende die Verteilung der Einnahmen aus diesen Lizenzen über die Beteiligung der Urheber und der ausübenden Künstler, also Interpreten und Musikern, an der Vergütung für die Bagatellschranken sein. Die Musikindustrie hat hier mehrfach eine Verfassungsbeschwerde angekündigt (https://www.welt.de/kultur/medien/article228592573/Urheberrecht-vor-Reform-Verbaende-drohen-mit-Verfassungsklage.html).

Auch für das neue Presseleistungsschutzrecht müssen Lizenzen zwischen Suchmaschinen und Newsaggregatoren einerseits und den Presseverlegern abgeschlossen werden. Nach einem Jahr hat Google inzwischen Lizenzverträge für knapp 60 Publikationen geschlossen, u.a. mit der FAZ, der taz und der Madsack-Gruppe, die seitdem auch bei Google News Showcase dabei ist. Durch diese Vertragsabschlüsse bildet sich ein allgemeinverbindlicher Tarif heraus (Verkehrsdurchsetzung), der auch im Tarifstreit der Verwertungsgesellschaft Corint Media (früher VG Media) mit verschiedenen Suchmaschinen schon bald zu einer Verhandlungslösung führen könnte.

Im Urhebervertragsrecht hat sich der EU-Gesetzgeber an den in Deutschland bereits seit 2017 geltenden Regelungen orientiert und die einzige wirkliche Neuerung ist die jährliche Auskunftspflicht von Verwertern gegenüber ihren Urhebern über die Nutzung ihrer Werke (§ 32d UrhG). Diese Pflicht gilt grundsätzlich für alle entgeltlichen Rechtseinräumungen, nur nicht bei Software, nachrangigen Werken oder wenn es unverhältnismäßig ist. Urheber müssten also spätestens jetzt für alle ihr noch genutzten Werke in letzter Zeit Post bekommen haben. Die Bundesregierung hat auf eine kleine Anfrage allerdings festgestellt, dass die Auskunftspflicht der Vorbereitung von Ansprüchen auf eine angemessene Vergütung dienten (https://dserver.bundestag.de/btd/19/301/1930105.pdf). Weil die angestellten und beamteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch angemessen vergütet würden, gelte diese Pflicht für die Bundesregierung nicht. Diese Argumentation müsste ja dann auch für alle anderen festangestellten Urheber gelten.

Auch bei den neuen Schranken für Kulturerbeeinrichtungen und für die kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung hat sich im letzten Jahr wenig getan. Kulturerbeeinrichtungen können seit der Reform europaweit Werke, die nicht mehr verwertet werden, umfassend nutzen, soweit Rechteinhaber nicht widersprechen. Wie dieser Widerspruch ausgeübt wird, soll in einer Verordnung des Bundesministeriums der Justiz geregelt werden (§ 61e UrhG), die jedoch noch nicht vorliegt. Auch für die kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung sieht das Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) in § 52d eine Verordnungsermächtigung vor, von der die Bundesregierung bislang noch keinen Gebrauch gemacht hat.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die angekündigte große Urheberrechtreform in der Praxis bislang kaum Auswirkungen hat. Nach einem Jahr werden viele Regelungen erst noch umgesetzt und die entsprechenden Lizenzen verhandelt. Auch die Bundesregierung hat noch einige Left-overs. Und bis Juli können noch Verfassungsbeschwerden eingelegt werden.

Juni 2022


M
M