Milan Dahlke - Universidade Federal do Ceará

Fortaleza, Brasilien - 2016


Auslandssemester in Brasilien - Fortaleza von Milan Dahlke

Angefangen hat alles an einem durchschnittlichen Unitag mit einer relativ spontanen Entscheidung - getroffen in der Cafeteria unseres Campus’ - an jenem Tag kam mein Kommilitone und guter Freund Ivan, noch fröhlicher als er ohnehin schon immer ist, in die Cafeteria und berichtete voller Elan er gehe im kommenden Semester über ein Stipendienprogramm des DAAD nach Brasilien um dort an der UFC, der staatlichen Universität des brasilianischen Bundesstaates Ceará mit Sitz in Fortaleza, ein Auslandssemester zu absolvieren und fragte mich gleich im Anschluss ob ich nicht Lust hätte mitzukommen, es seien noch nicht alle Stipendienplätze vergeben. Ich überlegte kurz und war gleich sehr angetan von dem Gedanken, wollte ich doch ohnehin noch in meinem Bachelor einen Auslandsaufenthalt machen und hatte noch kein festes Ziel vor Augen.
Brasilien klang so faszinierend wie aufregend und nach einer vollkommen fremden, für mich gänzlich unbekannten Kultur. Der Entschluss war schnell gefasst, ich würde es versuchen!

Ich kramte schnell in der Tasche nach meinem Smartphone und schrieb dem Kontakt den Ivan mir nannte, Herrn Professor Stadler, dem Koordinator des Austauschprogramms für Fortaleza. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, schon am darauffolgenden Tag bekam ich eine E-Mail mit einer Liste von erforderlichen Unterlagen. Da ich schon von Ivan wusste welche Unterlagen benötigt wurden, hatte ich bereits alles geschrieben und zusammengestellt und konnte umgehend antworten. Jetzt war erstmal Warten angesagt!

In der darauffolgenden Zeit wartete ich gespannt auf eine Zu- oder Absage und rief - etwas übertrieben - gefühlt stündlich meine E-Mails ab.
In dieser Zeit fing ich  auch an, mich ausgiebiger mit Brasilien und insbesondere Fortaleza zu befassen.  Zwei Jahre zuvor hatte ich mich im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft zwar  schon einmal mit Brasilien befasst, da aber oberflächlicher und noch ohne das Wissen, dass ich dort eventuell einmal einen Teil meiner Studienzeit verbringen würde. Die ersten Recherchen waren durchaus zufriedenstellend, im Durchschnitt sonnige 30°C und wunderschöne Strände nur ca. 20 min vom Campus entfernt klangen ziemlich vielversprechend, und auch der Campus sah nach einer willkommenen Abwechslung zu unserem doch eher tristen, funktionalen Bau der TH-Köln - Deutz aus.
Doch wenn man sich etwas tiefgründiger mit der Stadt befasst stößt man zwangsläufig auch auf negative Artikel, welche die Kriminalität hervorheben und die massive Kluft zwischen arm und reich zeigen wollen - man sieht Videos und liest Berichte von bewaffneten Überfällen, den gefährlichen Favelas, alles was das Internet eben so hergibt.
Daraufhin machte sich zunächst Angst breit. Fortaleza soll also eine der kriminellsten Städte der Welt sein. Natürlich kamen zu dem Zeitpunkt auch Zweifel auf, ob Fortaleza wirklich das richtige Ziel für mein Auslandssemester ist. Doch die Zweifel wichen der Neugier das alles einmal selbst sehen zu wollen!

Am 12.April.2016 war es dann endlich so weit, ich hatte eine feste Zusage in meinem E-Mail - Postfach. Herr Stadler bat noch um ein persönliches Gespräch um alles weitere zu besprechen und den Stipendienvertrag zu unterzeichnen und dann war es auch schon besiegelt. Das war es also, im August würde es losgehen, ein komplettes Semester in einem riesigen, unbekannten Land. Die Vorfreude überwog den Bedenken zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich!

Jetzt war alles in trockenen Tüchern, der erste Teil des Stipendiums war bereits überwiesen und der Starttermin des brasilianischen Semesters bekannt. Die Vorbereitungen konnten beginnen.
Und da gab es einiges zu tun! Wenn man, wie ich, ganz alleine wohnt und in Deutschland BAföG bezieht, umso mehr! Ein halbes Jahr zu verschwinden war schwerer als gedacht. Um einen fixen Termin zu haben, bis zu dem alles erledigt sein muss, setzte ich mich mit den drei anderen Stipendiaten, Ivan, Max und Tom, in Verbindung um einen gemeinsamen Hinflug zu buchen, diesen haben wir dann für den 05.August gebucht. Auch wenn sich dreieinhalb Monate zur Organisation viel anhören, reichte die Zeit doch nur so gerade eben. Das BAföG Amt musste informiert werden, ein geeigneter Zwischenmieter musste her, Strom, Internet, sowie sämtliche Verträge von  Fitnessstudio, Handy etc. pausiert oder gekündigt werden, eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen und Impfungen aufgefrischt werden. Und nicht zu vergessen das Visum, wahrhaftig ein Meisterstück der Bürokratie! Obwohl wir direkt am Anfang der dreieinhalb Monate damit angefangen haben die erforderlichen Unterlagen zusammen zu tragen, hat es bei uns allen erst eine Woche vor Abflug geklappt das Visum zu bekommen. Rückblickend hätte dort ein wenig typisch brasilianisches Denken à la “vai dar certo!” definitiv nicht geschadet!

Und während all dieser organisatorischen Planung musste natürlich auch das Semester in Brasilien vorbereitet werden. Denn da gab es noch ein kleines Problem: in Brasilien spricht man Portugiesisch und wer nicht gerade einen entsprechenden Migrationshintergrund hat, kommt als Deutscher im Laufe seines Lebens wahrscheinlich höchstens mal im Urlaub an der Algarve in den Kontakt mit dieser schönen Sprache. Also musste fleißig gelernt werden! Da man mit den finanziellen Mitteln, die einem als Student so zur Verfügung stehen, leider in
den seltensten Fällen Privatunterricht finanzieren kann, musste eine würdige Alternative her und die war aufgrund diverser Empfehlungen schnell gefunden: Babbel! Ein wirklich hervorragendes rundum Programm, das ich jedem empfehlen kann! In nur 3 Monaten konnte ich damit die Grundlagen der Sprache lernen, was mir den Einstieg in das Leben in Brasilien erheblich erleichtert hat, denn zumindest hier in Fortaleza sprechen, wenn überhaupt, wirklich fast ausschließlich Akademiker Englisch.
Natürlich hat man anfangs in der Vorlesung nicht alles verstanden, vor allem technische Begriffe werden von den Sprachkursen nicht abgedeckt aber dieses Problem hat man in Ingenieurstudiengängen selbst in seiner Muttersprache und wenn man sich am Ende des Unitags hinsetzt und seine Mitschrift übersetzt, kann man der Vorlesung problemlos folgen.
Außer dem Lernen der Sprache stellte sich natürlich auch schnell die Frage wo man denn wohnen sollte für das halbe Jahr, und hier kommt das PAI Programm ins Spiel, ein wirklich hervorragend organisiertes Patenprogramm der UFC, welches uns den Einstieg hier enorm erleichtert hat. Mir wurden zwei Paten zugewiesen, Romulo und Pedro. Pedro setzte sich, gleich nachdem ich ihm meine Nummer geschickt hatte, per WhatsApp mit mir in Verbindung und fragte ob und wie er mir helfen kann. Ich  fragte ihn gleich ob er mir und meinen Kommilitonen behilflich sein könnte eine Wohnung zu finden. Er sagte zu und zwei Tage später hatten wir vier auch schon alle eine Wohnung organisiert. Eine enorme Erleichterung! Wir sind, maßgeblich aufgrund der Tatsache, dass Ivan und ich ein Doppelzimmer hatten, zwar schon nach einem Monat wieder umgezogen, aber für den Anfang war es perfekt!

Angekommen in Fortaleza wurden wir auch schon von einer Gruppe Brasilianer erwartet, die uns sehr herzlich empfangen hat und uns zu unserem Haus gebracht hat, wo wir nach einem Abendessen in der anliegenden Mall dann auch den  ganzen Abend zusammen gesessen und gequatscht haben und uns alle näher kennen lernten. Von den darauffolgenden Tagen war einer aufregender als der andere! Tagsüber haben uns die Brasilianer die wunderschönen Strände der Stadt gezeigt und abends die angesagten Lokale und Plätze, wo man gemeinsam feiern und neue Leute kennen lernen konnte.
Glücklicherweise sind wir einige Wochen vor Semesterstart angekommen und so hatten wir und die Brasilianer frei und jede Menge Zeit für Freizeitaktivitäten. Das war meiner Ansicht nach auch wirklich wichtig, denn man braucht einige Zeit um sich an die Stadt und die Leute zu gewöhnen. Es ist wirklich alles anders als in Deutschland! Während dieser Eingewöhnungsphase mussten aber auch vor Ort noch ein paar Dinge erledigt werden, wie die Anmeldung bei der örtlichen Polizei und die Beantragung der CPF Nummer, einer Steuer Identifikationsnummer, die man hier einerseits zum kaufen von Dingen wie SIM-Karten benötigt aber auch um sich bei der Online-Plattform der Universität anzumelden.

Nachdem die Eingewöhnungsphase vorbei war, fing dann aber auch recht schnell das Semester an, und wir mussten uns für unsere Kurse eintragen und die entsprechenden Räume auf dem Campus finden, was leichter gesagt als getan ist, denn der ist wirklich riesig! Auf dem Gelände fahren zwei Buslinien, welche die Fakultäten miteinander verbinden. Aber nicht nur die Größe ist beeindruckend, es stehen überall Palmen und sogar Affen gab es direkt neben unserer Fakultät! Ein rundum beeindruckendes Bild! Der Unialltag an sich erinnerte mich sehr an meine Schulzeit, denn anders als bei uns schreibt man nicht eine große Klausur am Ende sondern zwei bis drei kleinere während der Semesterzeit und hält in der Regel noch zwei Vorträge über ein erarbeitetes Thema. Auch wenn man inhaltlich gleich viel durchnimmt, finde ich unser System in Deutschland dennoch besser, denn man kann sich seine Zeit selbst einteilen und lernt dadurch gleichzeitig noch selbständig und eigenverantwortlich zu handeln. Positiv hingegen finde ich die wesentlich kleinere Anzahl an Studenten pro Kurs, so kann der Professor deutlich besser bzw.
überhaupt auf individuelle Probleme eingehen. Fachlich waren alle vier von mir gewählten Kurse auf einem Niveau wie man es auch in Deutschland erwarten würde.
Sehr schön war auch die Möglichkeit an einer Exkursion zu einem Wasserkraftwerk teilnehmen zu können, die wir alle wahrgenommen haben. Dieser mehrtägige Ausflug wurde, bis auf die Verpflegung vor Ort, komplett von der Uni finanziert, was mich sehr beeindruckte! Was mich in Fortaleza allerdings sehr schockiert hat ist die unglaubliche soziale Ungleichheit: überall in der Stadt sind Armenviertel, sogenannte Favelas. Teilweise direkt neben den sehr reichen Vierteln der Stadt. So kann es vorkommen, dass man eine sehr westlich geprägte Hochhaussiedlung direkt am Strand hat, mit schicken Autos sowie teuren Lokalen und Geschäften und gleich nebendran eine Favela, in der es nicht mal ein funktionierendes Abwassersystem gibt und abgemagerte Leute Karren hinter sich herziehen müssen, statt Autos fahren zu können und jegliche Form von Arbeit annehmen müssen. Leider werden mangels Alternativen auch viele kriminell! Man muss sehr aufpassen und niemals einfach so in ein solches Viertel reinlaufen. Da ich vorher noch nie so direkt und hautnah mit derartiger Armut konfrontiert war, brauchte ich anfangs einige Zeit um das zu verarbeiten. Ich wünsche mir sehr für dieses Land dass sie dieses Problem in den Griff bekommen und irgendwann ein Sozialsystem, wie wir es in Deutschland haben, realisieren können.

Rückblickend hatte ich hier wirklich ein wahnsinnig aufregendes und interessantes
Semester, in dem ich gefühlt mehr erlebt habe als in allen Vorhergehenden. Zudem habe ich jetzt, durch die zahlreichen Austauschstudenten aus anderen Ländern, Freunde auf der ganzen Welt verteilt, von denen ich einige in Zukunft gerne besuchen möchte. Auch für meine Persönlichkeit war es eine unglaubliche Bereicherung, ich bin nochmal ein gutes Stück selbständiger und selbstbewusster geworden und bin dankbarer denn je für all die Dinge und Möglichkeiten die wir in Deutschland haben. Ich bin wirklich sehr froh, dass mir durch das Stipendium ermöglicht wurde, diese Erfahrungen sammeln zu dürfen.

Juli 2018


M
M