FAS-MAR - Entwicklung eines Fahrerassistenzsystems für mobile Arbeitsmaschinen

Instabile und kritische Fahrsituationen eines geschleppten Anhängers können bei hohen Fahrgeschwindigkeiten für das gesamte Gespann (Traktor/Anhänger) sehr gefährlich werden. Um die Kontrolle wieder herzustellen, kann der Fahrer durch ungünstige Lenkeingriffe das Pendeln noch verstärken. Dadurch besteht die Gefahr einer Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern oder des Umkippens des Gespannes.

Problembeschreibung
Instabile und kritische Fahrsituationen eines geschleppten Anhängers können bei hohen Fahrgeschwindigkeiten für das gesamte Gespann (Traktor/Anhänger) sehr gefährlich werden. Starke Seitenwindböen, Luftströme der entgegenfahrenden Verkehrsteilnehmer, Störkräfte und -momente, die infolge von abschüssigen und unebenen Fahrbahnen auf den Anhänger wirken, oder plötzliche Lenkeingriffe des Fahrers können dazu führen, dass die notwendigen Seitenführungskräfte von den Reifen nicht mehr aufgebracht werden können. Es kann dann zu einem unerwünschten Pendeln des Anhängers kommen. Um die Kontrolle wieder herzustellen, kann der Fahrer durch ungünstige Lenkeingriffe das Pendeln noch verstärken. Dadurch besteht die Gefahr einer Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern oder des Umkippens des Gespannes (Bild 1).

Bild 1: Unfall durch Schaukeln des Anhängers Bild 1: Unfall durch Schaukeln des Anhängers (Bild: Dorstenerzeitung)

Stand der Technik
Fahrstabilisierungssysteme für Anhänger existieren derzeit im Nutzfahrzeug- und PKW-Bereich. Bei diesen Systemen wird die Fahrstabilität durch eine Lenkkorrektur des Fahrzeugs oder gezielte Bremseingriffe am Fahrzeug oder Anhänger wieder hergestellt. Im PKW-Bereich hat Mercedes ein Patent zu einer Vorrichtung, bei der das erkannte Schlingern des Anhängers durch zusätzliche Lenkeingriffe des PKWs gedämpft wird. Beim Trailer Sway Control von Ford und dem Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) von Bosch wird ein unkontrolliertes Schlingern des Anhängers durch gezielte Bremseingriffe am Zugfahrzeug verhindert. Zudem wird durch den Eingriff in die Motorsteuerung die Geschwindigkeit des Fahrzeugs reduziert.Im LKW-Bereich sind die Fahrassistenzsysteme der Firma Wabco (Rollover Stability Support, Electronic Stability Control) und der Firma Haldex (Trailer Roll Stability) verfügbar. Diese Systeme agieren bei drohendem Umkippen oder Einknicken (Jack-knifing) und betätigen die Bremsen des Anhängers.Bei Traktoren existieren auf dem Markt derzeit vergleichsweise wenige Fahrstabilisierungssysteme, so werden u.a. Antiblockiersysteme (ABS) derzeit nur von einer geringen Anzahl von großen Traktorherstellern angeboten (u.a. Fendt, Valtra). John Deere hat im Jahre 2009 ein Steer-by-Wire System auf den Markt gebracht, welches unter anderem einen verbesserten Geradeauslauf bewirken soll; der Anhänger wird hierbei jedoch nicht explizit berücksichtigt. Ein Fahrerassistenzsystem zur Verbesserung der Querdynamik von Traktoren mit Anbaugeräten wurde von der Fachhochschule Köln und dort dem Kölner Labor für Baumaschinen (KLB) entwickelt. Dieses Verfahren ist jedoch nicht unmittelbar auf angehängte Geräte übertragbar.

Lösungsansatz
Es wird deutlich, dass bereits Systeme zur Einflussnahme auf die Fahrdynamik existieren, diese nach dem derzeitigen Stand der Technik jedoch in keinem Bereich die Anhängerlenkachsen als Aktoren verwenden. Ziel dieses Projektes ist es, ein Fahrerassistenzsystem zu entwickeln, welches das Fahrverhalten und insbesondere die Fahrstabilität von land-, forst- oder bauwirtschaftlichen Gerätekombinationen mit gezielter Lenkung der Anhängerachsen maßgeblich verbessert. Dazu wird die bereits erwähnte elektrohydraulische Zwangslenkung (Bild 2) in diesem Forschungsprojekt mit einem Mess- und Regelsystem erweitert. Bei einer erkannten Pendelbewegung des Anhängers sollen die Anhängerachsen gezielt angesteuert werden. Das durch die Lenkbewegung hervorgerufene Giermoment wird hierbei dazu genutzt, die Fahrstabilität wieder herzustellen. Da die Erfassung dieses kritischen Zustandes elektrisch geschieht, kann der Fahrer zusätzlich gewarnt werden oder über eine Verbindung zum Traktor eine automatische Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit erfolgen.

Bild 2: Elektrohydraulische Zwangslenkung bei einem Tridemanhänger Bild 2: Elektrohydraulische Zwangslenkung bei einem Tridemanhänger (Bild: Krampe)

Modellbildung
Bei der Entwicklung mechatronischer Systeme besteht einer der wichtigsten Punkte in der mathematischen Beschreibung des Systems. Diese soll zum einen die Systemzustände möglichst exakt abbilden. Zum anderen muss die Komplexität möglichst gering gehalten werden, damit der Entwicklungsaufwand nicht zu groß wird. Des Weiteren muss gewährleistet sein, dass das Modell echtzeitfähig ist, d.h. dass jeder Rechenschritt des Reglers innerhalb dessen Abtastraten durchgeführt wird.
Im Bereich der Fahrdynamik gehört das sogenannte Einspurmodell zu den Standardbeschreibungsformen der Fahrzeugquerdynamik. Hierbei werden die Reifen einer Achse durch ein Einzelrad ersetzt, (Bild 3). Das Einspurmodell beruht auf einer Reihe von Vereinfachungen. Im PKW-Bereich liefert es bis heute sehr gute Ergebnisse.
Bei landwirtschaftlichen Fahrzeugen mit unterschiedlichen Aufbau- und Reifencharakteristiken muss dieses Modell jedoch erweitert werden. Hierzu gehört zum einen das Wankverhalten des Aufbaus und des Gesamtfahrzeugs. Dieses Einspurmodell mit Wankerweiterung findet vor allem bei Fahrzeugen mit hoher Schwerpunktlage Anwendung. Mit dieser Erweiterung können die vertikalen Lastdifferenzen berücksichtigt und das lineare Reifenmodell mit dem aus der Fahrdynamik bekannten nicht linearen HSRI Reifenmodell ersetzt werden. Darüber hinaus ist im Vergleich zu anderen Fahrzeugen der Einfluss des dynamischen Kraftaufbaus (des sog. Einlaufverhaltens) der großvolumigen Reifen besonders ausgeprägt. Dieser zeitliche Verlauf darf im Modell nicht vernachlässigt werden. Erst durch diese Erweiterungen kann das Fahrassistenzsystem bei allen Fahrzuständen für mobile Arbeitsmaschinen zuverlässig funktionieren.

Bild 3: Ein Traktor mit Tridemanhänger und des Einspurmodell Bild 3: Ein Traktor mit Tridemanhänger und des Einspurmodell (Bild: Kölner Labor für Baumaschinen (KLB))

Modellbasierte Regelung
Das zu entwickelnde Fahrstabilisierungsprogramm hat die Aufgabe, durch Eingriff in die Lenkbewegungen der Anhängerachsen einen positiven Einfluss auf die Fahrdynamik zu nehmen und die Fahrstabilität zu gewährleisten. Das hierfür erforderliche Fahrdynamik-Regelungssystem bezieht seine Sollgrößen aus den Fahrzuständen des Traktors, Bild 4. Diese Sollgrößen definieren zum einen die Spur in der der Anhänger dem Zugfahrzeug folgen soll und zum anderen dienen diese Sollgrößen der Fahrdynamik-Regelung als Referenz. Durch die Lenkbewegungen der Anhängerachsen wird die Differenz zwischen den Soll- und den Istbewegungen des Anhängers minimiert. Für die Schätzung von nichtgemessenen Größen kommt, wie bei bereits existierenden vergleichbaren Systemen, bspw. dem ESP-System, ein modellbasierter Beobachter zum Einsatz.
Dieser Beobachter ist in der Lage, aus den verrauschten Sensorsignalen, basierend auf einer mathematischen Beschreibung des Fahrzeugverhaltens, die notwendigen Größen zu ermitteln. Die zu beobachtende Regelstrecke unterliegt starken Schwankungen der Parameter, welche einen erheblichen Einfluss auf die Fahrdynamik haben; diese sind unter anderem die Anhängermasse. Diese kann sich bedingt durch den wechselnden Beladungszustand um den Faktor 4 ändern. Hinzu kommt das Reibverhalten zwischen Reifen und Boden. Dieses kann sich durch Abnutzung der Reifen, oder einer Änderung des Straßenbelages permanent ändern.
Des Weiteren soll die Wirkung eines erweiterten, sogenannten modellbasierten prädiktiven Beobachteransatzes, ermittelt werden. Bei diesem Ansatz wird das mathematische Modell dazu verwendet, die zukünftigen Fahrzustände basierend auf den aktuellen Fahrzuständen und dem gemessenen Lenkwinkel, zu ermitteln.

Dadurch wird diesem Konzept ein sehr großes Potential bescheinigt, da auf diese Weise die Totzeiten des Systems (bspw. im Hydrauliksystem/Load-Sensing-System) mittels einer vorrausschauende Regelung kompensiert werden können.
Da das hier beschriebene System als hochgradig sicherheitsrelevant eingestuft werden muss, müssen Fehleingriffe des Systems durch eine umfangreiche Plausibilisierung der gemessenen Sensorsignale ausgeschlossen werden. Dies geschieht u.a. ebenfalls modellbasiert, indem die gemessenen Signale online mit einem parallel laufenden Modell des Fahrzeugs verglichen werden (sog. analytische Redundanz). Der Regler bzw. der Beobachter muss in dem vorliegenden Anwendungsfall besonders robust gegenüber Änderungen der Regelstrecke ausgelegt werden, da, z.B. durch eine Änderung des Reifeninnendruckes oder des An- und Abbaus eines Frontgewicht, nicht nur der Zustand des Zugfahrzeugs erheblich variieren kann, sondern auch der des Anhängers. Das neu entwickelte System muss sich nahtlos in die bereits bestehende Umgebung integrieren lassen. Aus diesem Grund wird das Steuergerät in der Entwicklungsphase prototypisch als sog. Bypass parallel zu dem bisherigen System implementiert.

Bild 4: Struktur des Regelungssystems Bild 4: Struktur des Regelungssystems (Bild: Kölner Labor für Baumaschinen (KLB))

Modellverifikation
Praktische Fahrversuche mit der beschriebenen Fahrzeugkombination sind äußert aufwendig und kostenintensiv in der Durchführung. Daher kommt über weite Teile die Simulationstechnik in Form virtueller Fahrversuche zum Einsatz. Des Weiteren bietet die Simulationsumgebung definierte und damit reproduzierbare Versuchsbedingungen; außerdem können kritische Fahrversuche im Grenzbereich gefahrlos durchgeführt werden. Hierfür ist ein Mehrkörper-System des Gespannes vorhanden, welches über geeignete Reifenmodelle in der Lage ist, die Vertikal-, Längs- und Querdynamik abzubilden. Um dieses Modell entsprechend der in der Praxis auftretenden Fahrzeugkombinationen parametrieren zu können, müssen zum Einen Prüfstandsuntersuchungen an Teilkomponenten und den Gesamtfahrzeugen durchgeführt und zum Anderen praktische Fahrversuche unternommen werden, um beispielsweise die Reifenparameter unter realen Bedingungen ermitteln zu können. Des Weiteren dienen diese praktischen Untersuchungen der Verifizierung des entwickelten Simulationsmodells.

Ausblick und Zusammenfassung
Die bisherigen Ergebnisse der Forschungsprojekte haben gezeigt, dass der Bereich der Fahrdynamik von Traktoren mit Anhängern ein hohes Potential zur Erhöhung der Fahrsicherheit und des Fahrkomforts aufweist.Im Projekt ‚Topdruckzylinder‘ wird nach der Durchführung der letzten Fahrversuche in Zusammenarbeit mit den Industriepartnern eine Zulassung des Systems für den öffentlichen Straßenverkehr vorbereitet. Hierfür ist unter anderem eine umfassende Risikobeurteilung durch eine Prüforganisation erforderlich.Im Forschungsprojekt ‚Entwicklung eines Fahrerassistenzsystems für mobile Arbeitsmaschinen unter Verwendung von gelenkten Anhängerachsen (FAS-MAR) wurden ein Simulationsmodell des Gespannes (Traktor/Anhänger) und der Beobachter ausgelegt und verifiziert. Die Erweiterung des Einspurmodells um die Wankbewegung und die Auslegung des Reglers müssen noch realisiert werden. Momentan werden die Simulationsergebnisse des Einspurmodells mit dem Mehr-Körper-Systemmodell verglichen und verifiziert. Zukünftig sind reale Fahrversuche mit einem Traktor-Anhänger-Gespann geplant.

Gefördert durch die Europäische Union in Verbindung mit dem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen Gefördert durch die Europäische Union in Verbindung mit dem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen (Bild: Land NRW)

Auf einen Blick

Kategorie Beschreibung
Forschungsprojekt FAS-MAR - Entwicklung eines Fahrerassistenzsystems für mobile Arbeitsmaschinen unter Verwendung von gelenkten Anhängerachsen
Projektleitung Prof. Dr. Alfred Ulrich
Institut Kölner Labor für Baumaschinen (KLB) am Institut für Bau- und Landmaschinentechnik (IBL Köln)
Projektpartner Krampe Fahrzeugbau GmbH, Möllenkotte GmbH & Co. KG, VEMAC GmbH & Co. KG
Fördermittelgeber Europäische Union in Verbindung mit dem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen
Laufzeit 2012 - 2015

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