Sechs PS Kölner Pionierarbeit

Der Vis-à-Vis-Motorwagen auf der Kunstmesse Cologne Fine Art  (Bild: Monika Probst/TH Köln)

Anfang des 20. Jahrhunderts war Köln ein Zentrum der Automobilentwicklung. Wer hätte das gewusst? Denn die Ingenieursleistung früherer Epochen ist in Vergessenheit geraten. Auf der Kunstmesse Cologne Fine Art war jetzt das wohl älteste Fahrzeug aus Kölner Produktion Mittelpunkt der Sonderausstellung "Style Icons".

Den Vis-à-Vis-Motorwagen wollen Restauratoren und Fahrzeugtechniker unserer Hochschule für das Kölnische Stadtmuseum wieder flott machen und die Bedeutung der Domstadt für die Automobilgeschichte aufarbeiten. Doch die Umsetzung gestaltet sich schwieriger als erwartet.

Philip Mandrys steht neben dem Fahrzeug.Restaurator Philip Mandrys will den Motorwagen in seinen ursprünglichen Zustand versetzen und ihn wieder fahrbar machen. (Bild: Heike Fischer/TH Köln)

​Philip Mandrys hat kein Auto. Aber er mag Oldtimer. Nicht so sehr die chromglänzenden Liebhaberstücke, sondern die verwahrlosten Stiefkinder: verstaubte und vergessene Schätze, angenagt vom Zahn der Zeit. Fundstücke, die in Scheunen und alten Garagen in einem Dornröschenschlaf liegen. Mit ihrem Rost, der Patina, ihren Rissen und Dellen verströmen sie ein ganz eigenes Fluidum. "Darin steckt so viel Geschichte", sagt er.​

Eine Fahrzeug aus einer anderen Epoche: Die ersten Besitzer des Vis-à-Vis-Motorwagens auf einem AusflugEine Fahrzeug aus einer anderen Epoche: Die ersten Besitzer des Vis-à-Vis-Motorwagens auf einem Ausflug (Bild: Kölnisches Stadtmusem)

Für seine Masterthesis hat der Restaurator zwei Jahre lang ein rund 50 Jahre altes Goggomobil T250 restauriert. Das stand im Depot des Kölnischen Stadtmuseums und war kaum mehr als eine verrostete alte Mühle. Statt es so makellos zu restaurieren, als käme es frisch vom Förderband, behielt Mandrys so viel von der Originalsubstanz wie möglich bei und konservierte die Gebrauchsspuren. Dabei wuchs ihm das Wägelchen richtig ans Herz. Zwei Jahre später taucht ein neues Fahrzeug auf, das noch faszinierender ist: ein 115 Jahre alter Motorwagen – das älteste bekannte Automobil aus Kölner Produktion.

Der Vis-à-Vis-Motorwagen Typ A, Nummer 125, so benannt, weil sich die Personen gegenüber sitzen, wurde 1901 in der in Köln-Sülz ansässigen Kölner Motorenfabrik in der Marsiliusstraße hergestellt. Mit sechs PS Leistung war er bis zu 25 km/h schnell. Der Wagen hat das Patent Nummer 127753 auf seine riemenbetriebene Hinterachse. Durch die Last der auf der Rückbank platznehmenden Passagiere wird der Riemen unter Spannung gesetzt.

Erster Hybrid und erste Tankstellen

Autoscheinwerfer mit Kerze als LichtquelleDie Lampen des Viś-a-Viś-Motorwagens stammen offenbar von einem anderen Fahrzeug aus der Zeit. (Bild: Heike Fischer/TH Köln )

​Für das Kölnische Stadtmuseum, das das Fahrzeug 2011 erworben hat, ist es ein seltener Schatz und ein Beleg für die Bedeutung des Standort Kölns in der Pionierzeit der Automobilentwicklung. "Die ist heute in Vergessenheit geraten", sagt Mandrys. Die 1864 gegründete Gasmotoren-Fabrik Deutz (heute Deutz AG) ist die erste Motorenfabrik der Welt. Hier wurde durch Nikolaus August Otto und Eugen Langen der Viertaktmotor mit drei PS Leistung entwickelt. Die Wagenbauerei Bernhard Scheele konzipierte 1898 das erste Elektroautomobil Deutschlands. Die Firma Ernst Heinrich Geist Elektrizitäts AG fertigte 1904 das sogenannte Dynamobil – in seiner Kombination von Verbrennungs- und Elektromotor ein früher Vertreter des Hybridfahrzeuges. Und die ersten deutschen Tankkioske entstanden 1922 in Köln und Hannover durch die Firma Olex.

Detailaufnahme des LenkstocksRückstände roten Sprühnebels am Lenkstock zeigen, dass die rote Farbe des Automobils nachträglich aufgetragen wurde. (Bild: Heike Fischer/TH Köln)

​Gerne würde das Stadtmuseum seinen Besucherinnen und Besuchern den Motorwagen in seinem ursprünglichen Zustand zeigen. Deshalb hat man sich an das bewährte Team der TH Köln gewendet, das bereits das Goggomobil aufbereitet hat. Gemeinsam mit den Professoren Dr. Friederike Waentig (Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften, CICS) und Dr. Frank Herrmann (Institut für Fahrzeugtechnik) will Philip Mandrys ein Konservierungskonzept erarbeiten und gleichzeitig so viel wie möglich über die Geschichte des Wagens recherchieren und seine Bedeutung für den automobilen Standort Köln darstellen. Wahrscheinlich ist dieser Vis-à-Vis sogar einer der ersten Motorwagen, die überhaupt gefertigt wurden.

So wenig Eingriffe wie möglich

Detailaufnahme des RiemensDer Wagen hat ein Patent auf seine riemenbetriebene Hinterachse. Durch die Last der auf der Rückbank platznehmenden Passagiere wird der Riemen unter Spannung gesetzt. (Bild: Heike Fischer/TH Köln)

​Stoff für ein mehrjähriges Forschungsprojekt, das der wissenschaftliche Mitarbeiter Mandrys mit viel Leidenschaft angegangen ist. Gemeinsam mit Studierenden hat er das Fahrzeug umfangreich untersucht, dreidimensional fotografisch erfasst und gescannt. "Es ist in einem bemerkenswert guten Zustand, das ist eher selten", sagt Mandrys. Von der Originalsubstanz sei noch viel erhalten, einige Teile seien dagegen nicht ursprünglich. Die rote Farbe des Vis-à-Vis sei nachträglich aufgetragen worden. Das zeigen Rückstände roten Sprühnebels am Lenkstock – ein Hinweis auf den Einsatz von Sprühdosen, „was 1901 noch nicht möglich war". Lackproben können Rückschlüsse auf die Originalfarbe und die Beschaffenheit ermöglichen. Auch die Lampen stammen offenbar von anderen Fahrzeugen aus der Zeit.

Viel Begeisterung, wenig Unterstützung

Doch für die weiteren Untersuchungen braucht es Fördergelder, Sponsoren und Unterstützer. Und die zu gewinnen, ist mühsam und langwierig. Teilweise werden dabei formale Gründe zu Stolpersteinen in der Antragsstellung. In anderen Fällen sind die Gründe für Frank Herrmann schwerer zu verwinden. In den letzten Monaten hat der Experte für Karosserietechnik und Initiator des Motorsportteams der Hochschule viele Gespräche mit einflussreichen Kölnern geführt. Er stieß immer wieder auf große Begeisterung über die Tatsache, dass der Vis-à-Vis-Motorwagen aus einer schwäbischen Scheune aufgetaucht ist. Leider musste er aber auch feststellen, dass "es trotz aller Begeisterung potenzieller Förderer sehr schwierig ist, diese dann auch zu einer konkreten finanziellen Unterstützung zu bewegen. Hier sieht es für die Zukunft des Projekts im Moment ziemlich düster aus."

v. l. Prof. Dr. Friederike Waentig, Philip Mandrys (beide TH Köln), Dr. Michael Euler-Schmidt, Andrea Habel-Schablitzky (beide Kölnisches Stadtmuseum), Prof. Dr. Frank Herrmann (TH Köln). v. l. Prof. Dr. Friederike Waentig, Philip Mandrys (beide TH Köln), Dr. Michael Euler-Schmidt, Andrea Habel-Schablitzky (beide Kölnisches Stadtmuseum), Prof. Dr. Frank Herrmann (TH Köln). (Bild: Heike Fischer/TH Köln)

​Dabei ist der Erhalt des Wagens nicht nur für Kölner Museumsbesucherinnen und -besucher von Vorteil: "Die Museen stellt die Ausstellung und Lagerung alter Autos vor große Herausforderungen", sagt Friederike Waentig. "Wir erhalten dazu laufend Anfragen, nicht nur aus Deutschland. Denn bisher wurden sie aus Unwissenheit entweder ungeschützt dem Verfall preisgegeben, oder soweit in einen Neuzustand aufpoliert, dass die Fahrzeuge als objekthistorische Automobile zerstört worden sind."

Vis-à-Vis auf Cologne Fine Art

Da es also noch einen großen Forschungsbedarf gibt, welche Standards hier definiert werden sollten, will das Team einen allgemeinen Kriterienkatalog und Handlungsempfehlungen für Restauratoren und Museen entwickeln. "Die Museen bestätigen uns, dass sie gerne unseren Ansatz verfolgen wollen. In dieser Form ist unsere interdisziplinäre Zusammenarbeit der Fahrzeugtechnik und Konservierungswissenschaften europaweit bisher einzigartig", betont Frank Herrmann.

Zum Automobil als Kulturgut referierte Herrmann gerade auf der Cologne Fine Art. Dort stand der Vis-à-Vis-Motorwagen im Mittelpunkt der Sonderausstellung Style Icons. Denn für Cornelia Zinken, Direktorin der Cologne Fine Art, sind Automobile Ausdruck der angewandten Kunst. Der Fokus der Ausstellung richtete sich auf fünf Zentren der frühen Automobilbaugeschichte: Mailand, Paris, München, Coventry – und eben Köln. Eine prominente Möglichkeit, um den einen oder anderen Unterstützer zu werben. In der Zwischenzeit sucht Philip Mandrys weiter historische Unterlagen und hofft auf eine Projektverlängerung. Denn halbe Sachen liegen ihm nicht – am liebsten würde er das Automobil wieder fahrbar machen.
Text: Monika Probst

November 2016

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